Die Grabmale des romantischen Klassizismus
Die nach 1820 bis über die Jahrhundertmitte geschaffenen gußeisernen Tafel,- Tabernakel- und Stelengrabmale und insbesondere die gußeisernen Grabkreuze mit ihren reichen Variationen der Grundform in Umriß und Binnenornamentik im Sinne des romantischen Klassizismus und der Neugotik bringen das erwachte patriotische und auch neoreligiöse Bewußtsein der Gesellschaft nach den für Preußen und Europa entscheidenden Kriegen von 1813/1815 symbolhaft zur Anschauung.
Allein über dreißig der vermutlich in der Berliner Eisengießerei gegossenen Grabkreuze haben sich auf dem Alten Garnisonfriedhof erhalten. Teilweise sind die Entwürfe dazu in dem von Peter Beuth und Friedrich Schinkel erarbeiteten und zwischen 1821-37 herausgegebenen Werk "Vorbilder für Fabrikanten und Handwerker" und in Schinkels eigenen Publikationen abgebildet worden. Gotisierende und antikisierende Schmuckelemente sind bei der Gestaltung der gußeisernen Grabdenkmale gleichermaßen zu finden. Die Rückbesinnung auf die "deutsche Antike", jenen angeblich "urteutschen Stil" der Gotik, wurde zum Ausdruck der Vereinigungshoffnung in einem politisch zersplitterten Land, während der internationale Klassizismus der "Schinkelzeit" für den Wunsch nach gesellschaftlicher Erneuerung - entzündet am idealisierten Vorbild der antiken griechischen Demokratie - der adäquate Ausdruck zu sein schien. Festzustellen ist, daß sich im Laufe des Jahrhunderts die anfangs schlichte Gestaltung der Grabkreuze durch die Verwendung immer reicherer Ornamentik veränderte, bis schier keine Steigerung mehr möglich schien. Verschiedentlich ist dieser Prozeß als Symptom für den geschmacklichen Niedergang des Eisenkunstgußgewerbes gedeutet worden. Vergleicht man die Grabkreuze aus der Zeit von etwa 1830 bis 1905, wird man aber auch erkennen können, daß bestimmte, einmal gefundene Formen der zumeist manufakturhaft hergestellten Grabkreuze und Grabgitter mit schlichteren klassizstischen und gotischen Schmuckelementen bis in das frühe 20. Jahrhundert hinein Anwendung fanden.
Ihre durch das Stilzitat vermittelte Botschaft schien einer durch die gescheiterte Revolution von 1848 verunsicherten konservativen Gesellschaft offenbar so sehr als äußerlicher Garant ihrer überlebten Ideale, daß immer wieder, selbst über die endgültige Schließung der Berliner Königlichen Eisengießerei im Jahr 1871 hinaus, darauf zurückgegriffen wurde.
Die Grabdenkmäler für die Familie Gumtau- und für Alexander v. Trützschler stellen eine Besonderheit innerhalb des Berliner Eisenkunstgusses dar. Die mehrteiligen Grabmäler, jedes bestehend aus einer gesockelten, von zwei filigranen Pfeilern eingefaßten Inschriftenplatte, greifen zum einen formal auf die Gestaltung vorklassizistischer Epitaphe zurück, zum anderen verbinden sie die schlichte Form der auf der Gruft liegenden oder an einer Wand aufgestellten, auch in Gußeisen ausgeführt zu findenden Inschriftenplatte mit der klassizistischen Stele zu einem neuen Grabmalstypus.
Die der Architektur entnommenen gotischen Stilelemente der Gumtau-Grabmäler, kombiniert mit dem der Antike entlehnten, separat gegossenen und applizierten Siegeskranz und die antikisierenden Formelemente des Grabmals Trützschler führen anschaulich das breite Gestaltungsvermögen der Berliner Eisenkunstgießerei im 19. Jahrhundert vor. Der gestalterische Gleichklang der Grabdenkmäler für Carl Friedrich (1847), Pauline (1864) und Paul Gumtau (1904) spricht sowohl von familiäre Verbundenheit als auch von der traditionsbewußten Verbindlichkeit des gotisierenden Stils bis in das 20. Jahrhundert hinein. Die Grabdenkmäler, ursprünglich schwarz gefaßt, die Inschriften, Innenleisten und Kränze vergoldet, sind in den letzten Jahren restauriert worden.
Die drei Epitaphgrabmale der Familie des Kommandeurs des reitenden Feldjäger-Korps, Carl Friedrich Gumtau, mit den zierlichen Maßwerkaufsätzen und das von fragil erscheinenden, antikisierenden Säulchen flankierte Epitaphgrabmal für den Obristen und Commandeur des Kaiser-Alexander-Grenadier-Regiments, Alexander von Trützschler (1782-1833), stellen insofern eine Besonderheit dar, da sie die barocke Tradition, innerhalb von Kirchenräumen Gedenktafeln für Verstorbene aufzuhängen oder zu stellen, auf einem im Freien angelegten Begräbnisplatz fortzuführen scheinen.
Wie auch bei den Grabkreuzen wird die ursprünglich bedeutende Wirkung der gußeisernen Grabdenkmale durch die fehlende farbige Fassung und insbesondere durch die rücksichtslose Beseitigung der meist efeubewachsenen Grabhügel, der flankierenden Bäume und der diese schützend und distanzerheischend umgebenden Grabgitter für den heutigen Betrachter erheblich vermindert.
Aus der Gruppe der steingesockelten, gußeisernen Kreuze mit neugotischem Dekor zählen neben dem erst 1993 verschleppten schlichten Grabkreuz des Hauptmannes und Specialdirektors der Berlin-Potsdamer Eisenbahn, Hermann Baron von Puttkamer (1804-1844) etwa die Grabkreuze für den Generallieutnant und Kommandierenden General Carl Heinrich von Block (1781-1839) und seiner Tochter (?), Ida von Block (1837-1863), zu den schlichtesten, aber auch am klarsten formulierten Stücken. Bedeutend aufwendiger scheint daneben das Kreuz des Grabmals für Werner Baron von der Osten-Sacken (1821-1889), das auf der Rückseite eine christliche Trost-Botschaft vermittelt: Es sollen Berge weichen / und Hügel fallen / Aber meine Gnade soll / nicht von Dir weichen - Jes. 54. V. 10. Erwähnenswert sind auch die Grabkreuze des Obristleutnants Heinrich von Gutzmerow (1785-1861) und seiner Frau Friederike von Gutzmerow (1795-1877) mit zartem Binnenmaßwerk und ebenso die reichverzierten Grabkreuze für den Oberstleutnant à la suite und Platzkommandanten von Berlin, Hans von Westerhagen (1846-1896), und den Obristen und 1. Adjutanten des Prinzen Carl von Preußen, Wilhelm Graf Hoym (1790-1849).
Das Westerhagensche Grab hat darüber hinaus auch seine Schmuckgittereinfassung bewahrt. Von großem Phantasiereichtum zeugen die Entwürfe zu den Grabkreuzen für Amalie Ottilie Charlotte von Fabeck, geb. von Massenbach (1786-1832) (Ausführung nicht mehr vorhanden) und für Caroline von Langen, geb. von Quillfeldt (1817-1856) (erhalten). Beide Grabkreuze fallen durch die ungewöhnliche Ausformung ihrer drei Balkenenden auf, deren Gestalt an Fledermausflügel erinnert, und die mit sehr reich ausgebildetem, feinem Maßwerk gefüllt sind.
Am Grabmal von Fabeck gab es zusätzlich als Schmuck in den Endornamenten noch jeweils einen Stern (Himmelssymbol) und über der Inschrift die Darstellung eines Schmetterlings, dem zierlichen Symbol und Attribut der Psyche (Personifikation der menschlichen Seele). Gotische Stilzitate als Hinweis auf Patriotismus und/oder auf Religiosität und antike Bildsymbole, wie Stern, Schmetterling sowie Kranz haltende oder -werfende Siegesgenien sind durchaus häufiger an ein- und demselben Grabmal zu finden.
Das an seinen Balkenenden aufwendig mit durchbrochen gearbeitetem Maßwerk verzierte neugotische Grabkreuz des Oberst-Lieutnant Friedrich Wilhelm Scheltz (1793-1846) schmückt auf der Vorderseite ein klassizistischer Siegesgenius. Die rückseitige Inschrift des Grabmals erwähnt, Scheltz sei verstorben nach Gottes unerforschlichem Ratschlag und fügt hinzu: Seelig die reinen Herzens sind, denn sie werden Gott schauen (Ev. Matth. Cap. 5. V. 8.). Antiker Heroenkult, christliches Todesverständnis und christliche Wiederauferstehungshoffnung sind so vereint.
Von den Grabkreuzen mit rein antikisierendem Dekor sind insbesondere das mit Palmettenenden geschmückte Kreuz für den Obersten der Artillerie, Friedrich Wilhelm von Graumann (1760-1834), das schlichte Grabkreuz für den Leutnant und Kommandanten von Berlin, Carl Georg von Loebell (1777-1841), ferner die mit Palmetten verzierten, ehemals schwarz und gold (Inschrift, Dekor) gefaßten Kreuze für Jeanette von Stülpnagel, geb. von Blankenstein (1786-1865), und für den General der Infanterie und Domherren von Brandenburg, Ferdinand Wolff von Stülpnagel (1813-1885), erwähnenswert.
Neugotische Tabernakelgrabmale, wie das auf dem Alten Garnisonfriedhof für die Familie des Oberstleutnant der Artillerie, Daniel Friedrich Gottlob Teichert (1796-1853), errichtete gußeiserne Grabmal sind ästhetische Höhepunkte der Sepulkralkunst. Als Autor der Entwürfe ist Karl Friedrich Schinkel für Berlin nachzuweisen.
Eine reizvolle, seltene Grabmalform bilden die gußeisernen Tabernakelmale. Eines der schönsten erhaltenen, das Grabmal der
Familie Teichert besteht aus einem hohen dreiteiligen Sockel über quadratischem Grundriß. Über dem mit Inschriften geschmückten Sockel erhebt sich ein leichter, fialenartiger Tabernakelbaldachin, dessen vier Ecksäulen ein spitzes Dach mit reich mit Krabben (Blattornament der Gotik), Kreuzblumen und durchbrochen gegebenem Maßwerk geschmückten Wimpergen und Dienste tragen. Eine hohe Spitze, gleichfalls mit Krabben besetzt und von einer Kreuzblume bekrönt, sitzt dem Dach auf und unterstreicht so die "gotische" Vertikalität des Grabdenkmales. Unter dem Baldachin war ein vermutlich vergoldeter Todesgenius mit gesenkter Fackel eingestellt. Die ephebenhafte Gestalt war bis auf ein weit herabgerutschtes, antikisierendes Gewand unbekleidet. Die Ablehnung der gotischen Skulptur in der Zeit des Klassizismus führte häufig dazu, daß neugotische Architektur mit klassizistischen Figuren geschmückt wurde.
Der Genius des Grabmals Teichert ist ganz von der Idee des "schönen Todes" geprägt, die der Dichter und Schriftsteller Gotthold Ephraim Lessing (1729-1781) 1769 in seiner Schrift "Wie die Alten den Tod gebildet" durch die Anführung antiker Todesgeniusdarstellungen, etwa auf Sarkophagen, wissenschaftlich begründet hatte. In Berlin hatte Gottfried Schadow mit seinem 1790 geschaffenen Grabmal für den achtjährig verstorbenen Sohn des Königs Friedrich Wilhelms II. und der schönen Wilhelmine Gräfin Lichtenau, geb. Encke, Alexander von der Mark, ein überragendes Beispiel einer überaus ergreifenden Todesdarstellung geschaffen. Das ehemals in der Dorotheenstädtischen Kirche aufgestellte und sich heute in der Alten Nationalgalerie befindliche marmorne Kunstwerk zeigt den Verstorbenen als schönen Schläfer, ausgestreckt auf einem reliefgeschmückten Prunksarkophag.
Der nackte Todesgenius mit umgestürzter Fackel am Sarkophag für die Fürstin Christine Charlotte Sophie
von der Osten-Sacken, geb. von Dieskau (1733-1811), auf dem II. Dreifaltigkeitskirchhof an der Bergmannstraße, 1827 geschaffen von Friedrich Tieck nach einem Entwurf Schinkels, ist noch stärker den antiken Idealplastiken nackter Jünglinge nachempfunden. Auch der Genius Teichert transportierte etwas von der erotischen Schönheit griechisch-antiker Jünglingsskulpturen, zumal sein Gewand im Bereich des Gesäßes geradezu neckisch herabgeglitten war.
Das um 1853 errichtete Monument, orientiert sich an Schinkels Entwurf für das Grabmal des Hanauer Kaufmanns Touissant von 1811, dessen Vorbilder bereits in der Gartenliteratur des späten 18. Jahrhundert zu finden sind.